Studieren jetzt - bezahlen später

Die studentischen Proteste im letzten Semester haben es gezeigt: Die in Baden-Württemberg neu eingeführte Einschreibegebühr wird als Vorstufe echter Studiengebühren gesehen und flächendeckend abgelehnt. Der Widerstand der Studierenden ist keine reine Blockadepolitik - sie haben ihre eigenen Ideen zu Hochschulreformierung und -finanzierung. attempto! sprach mit Johannes Kraaibeek vom Forum für Hochschul- und Bildungspolitik e. V. (FHB) und Holger Warthmann von der Juso-Hochschulgruppe.

attempto!: Der FHB schlägt einen 'Akademikerbeitrag' zur Finanzierung der Universitäten vor. Was ist das ?

Kraaibeek: Der Beitrag ist grundsätzlich gedacht als nachträgliche Beteiligung der Akademiker an den Kosten ihrer Ausbildung zu einem Zeitpunkt, zu dem sie im Berufsleben stehen und ihr eigenes Einkommen haben. Die Zahlungspflicht beginnt erst ab einer bestimmten - nicht zu niedrig anzusetzenden - Einkommensgrenze. Erreicht wird damit eine zusätzliche Einnahmequelle für die Hochschulen sowie die soziale Offenhaltung des Studiums. Das ist angesichts der gegenwärtigen massiven Kürzungen der Hochschuletats sowie des BAföG dringend erforderlich. Schlie\xa7 lich wird dadurch die Stellung der Studierenden gestärkt: Aufgrund der nachträglichen Beteiligung an den Kosten ihrer Ausbildung sollen ihnen auch stärkere Mitbestimmungsrechte gewährt werden.

attempto!: Welche Argumente setzt die Juso-Hochschulgruppe diesem Entwurf entgegen?

w Warthmann: Unser Problem liegt primär in der geläufigen Begründung für eine Akademikersteuer, da▀ dadurch nämlich das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit stärker zum Tragen komme. Wir sehen jedoch eher Ungerechtigkeiten im Steuersystem, an dem angesetzt werden mü▀te, um zu grö▀erer sozialer Gerechtigkeit zu kommen. Au▀erdem sehen wir die Gefahr, da▀ der Staat hier eine nicht unerhebliche Finanzierungsquelle für die Hochschulen erkennt und sich sukzessive aus ihrer Finanzierung zurückzieht, so da▀ die Kosten des Hochschulsystems schlie▀lich vollständig privatisiert würden - mit all den negativen sozialen Folgen, die dies nachsichziehen würde.

attempto!: Wie stellen Sie sich die Hochschulfinanzierung angesichts sinkender Steuereinnahmen zukünftig vor?

Warthmann: Wir wollen voll an der staatlichen Finanzierung der Hochschulen festhalten. Dies wird auch möglich sein, wenn man die Hochschulen von innen her reformiert. Überhaupt mu▀ man ja mit Bedauern feststellen, da▀ die Finanzierungsdebatte die Diskussion über eine grundlegende Studien- und Strukturreform verdrängt hat.

Kraaibeek: Grundlegende inhaltliche Reformen der Hochschulen sind unbedingt erforderlich. Es mu▀ aber betont werden, da▀ solche Reformen ohne verbesserte Hochschulfinanzen nicht erfolgreich sein können. Unser Vorschlag zielt darauf ab, zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Die Berechtigung dafür leiten wir daraus ab, da▀ Bildung nicht nur ein öffentliches Gut ist, sondern auch ein privates. Dies drückt sich ganz konkret auch in den deutlich besseren Verdienstmöglichkeiten von Hochschulabsolventen aus. Schlie▀lich mu▀ im Handwerk auch jeder für seine Meisterausbildung bezahlen.

attempto!: Herr Warthmann, ist es aus Ihrer Sicht wirklich sozial gerechter, wenn der Postbote wie im Moment das Studium seines Zahnarztes finanziert?

Warthmann: Das ist ein alter, arg strapazierter Einwand: Hier mü▀te ein gerechteres Steuersystem ausgleichen. Es ist doch so, da▀ die gesamte Gesellschaft aus ihren Hochschulen Nutzen zieht und sie daher auch finanzieren soll. Wichtige Innovationen, wirtschaftliche Impulse und letztendlich auch Wohlstand verdankt die Gesellschaft den Universitäten. Insofern hat auch der Postbote ein Interesse daran, da▀ die Hochschulen gedeihen. Soziale Ungerechtigkeit droht jedoch, wenn auch durch nachgezogene Studiengebühren der freie Zugang zu den Hochschulen gefährdet wird. Wir sind schon durch die Kürzungen im BAföG-Bereich auf dem Weg zu einem sozialen Numerus Clausus. Die Akademikerabgabe würde den Schuldenberg eines BAföG-Empfängers, der heute bis zu 40.000 DM betragen kann, noch verstärken. Er würde also einseitig die sozial Schwächeren belasten. Das würde viele von einem Studium abschrecken.

Kraaibeek: Dem mu▀ man durch Bedingungen für die Einführung eines Akademikerbeitrags begegnen: Unverzichtbar ist, da▀ der bisherige Rückzahlungshöchstbetrag in Höhe von ca. 40.000 DM für BAföG-Empfänger auch bei Hinzunahme des Beitrags nicht steigt, die maximale finanzielle Belastung also konstant bleibt. Au▀erdem: Die Erfahrungen mit einem ähnlichen Modell in Australien zeigen, da▀ der Zulauf zu den Hochschulen mit der Einführung einer nachlaufenden Kostenbeteiligung zu- und nicht abgenommen hat. Eine soziale Selektion fand dort nicht statt.

Das Gespräch führten Michael Seifert und Jutta Schönberg

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